Die Pleite seines Pubs war das Beste, was Chas McLaughlin passieren konnte. »Als ich den Laden dichtmachte, schaltete ich eine Anzeige um die Einrichtung zu verkaufen«, sagt er. »Seitdem hörte das Telefon nicht zu klingeln auf.« Wenige Tage später war er wieder dick im Geschäft.
Heute steht er in seiner Lagerhalle in Dundalk, auf halbem Wege zwischen Dublin und Belfast, und ist umgeben von tausenden alten Bierflaschen, Whiskeykrügen und ermattenden Spiegeln. Aus dem gescheiterten Wirt wurde ein Geschäftsmann: Als immer wieder Fremde anriefen, um seine Einrichtung zu kaufen, gründete Chas McLaughlin eine Firma für die Einrichtung von Kneipen im irischen Stil. Seit 1996 ist er hauptberuflicher Pub-Dekorateur.
»In der Gastronomie muss man den Leuten etwas bieten, wovon sie erzählen können«, sagt Barry O’Sullivan. »Ich war gerade in den Staaten. Wir waren in Disney World im deutschen Dorf und in der mexikanischen Tequilabar. Es gab dort fantastische Weinproben in Italien, tollen Sake in Japan. Das fühlte sich echt an, so wie es sich anfühlen sollte. Die Amerika sind Meister darin, unvergessliche Erlebnisse zu erschaffen.«
Barry O’Sullivan leitet die Kneipe Oliver St. John Gogarty in Temple Bar, dem touristischen Ausgehviertel von Dublin – arbeitet mit an der Disneyfizierung der irischen Kultur. Der Name der Kneipe stammt von einem Zeitgenossen von James Joyce. Im Regal gegenüber der Theke stehen in abgegriffenen Ledereinbänden die gesammelten Werke der irischen Nobelpreisträger Beckett, Shaw und Yeats. Doch wer zum Lesen herkommt, wird enttäuscht: Das Regal ist eine Attrappe, die Bücher sind nach knapp 15 Zentimetern abgesägt und festgeklebt. Ihr Inhalt ist egal, es zählen nur die dekorativen Rücken.
Auch das Schild, das im Treppenhaus hängt, ist eine ziemlich freche Lüge. »Established 1835«, steht da. Damals mag es hier irgendeine Bar gegeben haben, aber sicher nicht das Gogarty. »Als ich zur Schule ging, gab es Temple Bar noch nicht«, sagt Barry O’Sullivan. Ursprünglich sollte der Stadtteil planiert werden, erst Anfang der Neunziger wurden hier Kneipen wie das Gogarty oder das The Auld Dubliner eröffnet – auch wenn man ihnen ihr junges Alter nicht ansehen soll.
Traditionell werden die »Public Houses« – kurz: Pubs – in Irland nicht verpachtet, sondern sind im Privatbesitz. Viele Kneipen wurden von Generation zu Generation weitergegeben, oft ohne große Veränderungen. An ihren Wänden hingen alte Fotos, in den Regalen türmte sich der Krimskrams vieler Jahrzehnte. Auf dem Land wurden Ale und Stout zudem auch in den Geschäftsräumen von Apotheken oder Krämerläden ausgeschenkt. So entstand die besondere Ästhetik vieler irischer Kneipen: rustikal, schummerig und vollgestellt, voller Plunder und Patina.
Als der amerikanische Reporter Joseph Mitchell im Jahr 1940 die älteste Kneipe New Yorks suchte, fand er McSorley’s Old Ale House im East Village, mit Sägespänen auf dem Boden und verstaubten Erinnerungsstücken an den Wänden: eine Arbeiterkneipe fern von Irland, und doch ein prototypischer Irish Pub. Heute gibt es das McSorley’s immer noch, mehr als 150 Jahre nach seiner Gründung. Doch es hat längst Konkurrenz bekommen: In den Neunzigern, etwa zeitgleich zum Auftieg von Temple Bar zum Touristenviertel, sind hunderte »Traditional Irish Pubs« in aller Welt eröffnet worden. Sie sind zwar nicht so alt wie das McSorley’s, aber sie sollen mindestens genauso alt aussehen.
In den Neunziger Jahren wurde Irland von einem ökonomischen Pflegefall zum »Celtic Tiger«. Bis dahin war Irland für seine Schriftsteller bekannt – und für seine Armut. Jetzt eroberten Iren die Popkultur, U2, Sinéad O’Connor und Irish Folk dudelte nun auch in Kontinentaleuropa. Der Krieg gegen England war vorbei, der britische Geheimagent James Bond – gespielt von Pierce Brosnan – fortan ein Ire und seine Filme erfolgreicher als jemals zuvor. Zeitgleich startete die Guinness-Brauerei eine Kampagne, um den »Traditional Irish Pub« in alle Welt zu exportieren.
In dreisprachigen Broschüren warb Guinness im Ausland mit exemplarischen Grundrissen und Einrichtungsskizzen für die Gründung von »Traditional Irish Pub-Shops«, von »Irischen Pubs im Landhaus Stil« oder von »Pubs Victorien de Dublin«. In solchen Kneipen würden die Gäste mehr Guinness trinken als Pils, Rotwein oder Gin and Tonic, so die Idee. Unzählige Pubs wurden eingerichtet: Das O’Neal’s in Aix-en-Provence, The Auld Dubliner in Göteborg oder Mulligan’s Bar auf Mallorca. Sie trugen vor der Gründung des staatlichen irischen Kulturinstituts im Jahr 2005 die »Irishness« in die Welt.
»Irland, so wie große Teile der Welt es kennen, wurde 1991 erfunden«, schreibt der Journalist Austin Kelley. Seitdem ist das »Traditional Irish Pub« ein Teil der euro-amerikanischen Popkultur – neben lustigen grünen Filzhüten, dem Besäufnis zum St. Patrick’s Day und vierblättrigen Kleeblättern (die in Irland übrigens dreiblättrig sind, weil sie für die göttliche Dreifaltigkeit stehen und nicht für profanes Glück). Deshalb sehen auch Kneipen in Dublin, deren Besitzer die Touristen einfangen wollen, so aus wie ihre falschen ausländischen Ableger.
Der Pubdekorateur Chas McLaughlin sagt, er habe hunderte Pubs gestaltet, auf allen Kontinenten außer der Antarktis. Er macht damit Umsätze, von denen er als Wirt nur träumen konnte: Sechs- bis zehntausend Euro kostet das Dekor eines einfachen Pubs, bis zu 70.000 Euro berechnet er für Großprojekte mit persönlicher Beratung vor Ort. Sechs Zulieferer suchen Flohmärkte für McLaughlin ab.
»Ich kaufe und verkaufe alles«, sagt McLaughlin, »so lange es alt ist.« Manchmal richte er auch italienische Restaurants ein, doch sein Stolz sind die Irish Pubs. Zum Beispiel das Nine Fine Irishmen in Las Vegas (Werbespruch: »We didn’t just import Irish whiskey, we imported the whole damn country«).
Von anderen Pubs erzählt er mit einem Schulterzucken: In Indien habe er schon mal ein »Traditional Irish Pub« eingerichtet, in dem kein einziges irisches Bier auf der Karte stehe. Aber egal. McLaughlin ist nicht Kulturattaché sondern Dienstleiter. »Traditional Irish« ist, was der Kunde für »Traditional Irish« hält. Hauptsache, er kriegt etwas geboten, wovon er erzählen kann.
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[1] Das Foto zeigt die Bar des Auld Dubliner, das gleich neben dem Oliver St. John Gogarty in Temple Bar liegt. Es ist nicht Auld. Es sieht nur auf den ersten Blick so aus.
[2] Die Idee zu diesem Eintrag verdanken wir Markus Wolff. Im Wirtschaftsmagazin Brand Eins (09/2008) erklärte unter der Überschrift „So funktioniert Gemütlichkeit“ (Link zur Pdf-Datei des Artikels), wie Guinness die Irish Pubs exportiert. Die Werbebroschüren, die damals verschickt wurden, holen die Firmensprecher heute nur auf ausdrückliches Drängen aus dem Archiv. Guiness inszeniert sich in seinem Firmenmuseum in Dublin nun lieber kosmopolitisch und modern als irisch und traditionell: Mit vollverglaster Lounge über den Dächern der Stadt, in der elektronische Musik pluckert, während das Bier gezapft wird.
[3] Wunderbar atmosphärisch ist Joseph Mitchells Porträt des Irish Pubs McSorley’s im New Yorker vom 13. April 1940. Eine deutsche Übersetzung findet sich im Sammelband McSorley’s Wonderful Saloon. New Yorker Geschichten, erschienen bei Diaphanes im Jahr 2011.
[4] Einen Generalangriff auf den Export der Irish Pubs hat Ron Pattison auf seiner Internetseite www.europeanbeerguide.net veröffentlicht. Dort schimpft er über das „McDonnel’s“-System. Vielleicht kein Zufall: Die Gründer des Burger-Imperiums und Erfinder des Franchise-Gastronomie waren Kinder von irischen Einwanderern.