Chefredakteure, Krisenreporter und andere schreibende Journalisten trafen sich gestern im Hamburger Spiegel-Gebäude zum Reporter-Workshop. Der Konferenztag endete mit persönlichen Plädoyers junger Journalisten, für die es nur zwei Regeln gab. Erstens: Sie durften nicht länger sein als 90 Sekunden. Zweitens: Sie mussten mit den Worten „In fünf Jahren“ beginnen. Ich wurde eingeladen, die Runde zu eröffnen. Und tat das so:
In fünf Jahren ist wieder Europawahl. Keine besonders gewagte Zukunftsprognose, ich weiß. Aber ich würde mir wünschen, dass wir in den kommenden fünf Jahren nicht die Fähigkeit verlieren, über Europa zu staunen. Mit Staunen meine ich gar nicht so sehr das pädagogisch wertvolle und politisch gewollte „Friedensprojekt EU, wow, wie weit sind wir gekommen!“, sondern eher das Staunen: „Krass, was ist hier eigentlich los?!“
Ich denke zum Beispiel daran, dass Grenzkontrollen offiziell abgeschafft wurden. Aber in Deutschland gibt es Autobahnen, auf denen Ausländer gezielt rausgewunken werden. Das verstehe ich nicht.
Und ich denke an Vel’ka Ida, einen Ort in der Slowakei, mitten in Europa. Die Leute bezahlen da mit dem gleichen Geld wie wir. Aber sie wohnen in Wellblechhütten ohne Strom und fließendes Wasser. Das verstehe ich auch nicht.
Und ich denke an Ungarn. Da gibt es eine Partei, die die Aufklärung für einen Fehler hät und rückgängig machen will. Und diese Partei zählt zu den beliebtesten unter Studenten. Das verstehe ich am allerwenigsten.
Wir dürfen uns nicht einlullen lassen und glauben, Europa sei spießig, provinziell und durchreglementiert. Ich glaube, es ist rätselhafter, widersprüchlicher und anarchischer als wir oft denken. Und deshalb: voller Geschichten.
Damit wären jetzt auch schon zwei Themen ausgeplaudert, zu denen wir demnächst Fotos und Texte veröffentlichen werden: zur Situation einiger Roma in Europa sowie zum Aufstieg von Jobbik und anderen rechtsradikalen Parteien.