Draußen vor der Tür glimmt ein Joint in der Dunkelheit, drinnen vertickt jemand Tabletten (»You need MDMA?«): Die Party in dem Technoclub in Wien kann langsam losgehen. Vor einer mit einer Zeltplane abgehangenen Ecke im Club stehen ein paar Leute und warten. Alle zehn, zwölf Minuten öffnet sich die Plane einen Spalt breit, jemand huscht heraus, und der Nächste darf durch, zu einem Mann mit tätowierten Unterarmen. Er wartet dort hinter einem kleinen Tisch, auf dem eine Waage, ein Laptop und kleine Plastikröhrchen mit Ecstasy und Speed stehen.
Der Mann hinter der Zeltplane ist kein Dealer, sondern Mitarbeiter eines Forschungsprojektes. Wer mit Koks oder Tabletten in den Club kommt, kann ihm etwas davon abgeben. Das wird anschließend in einem Labor anonym und kostenlos untersucht und das Resultat noch heute Nacht im Club ausgehängt. So erfahren die Nutzer, ob ihr Stoff gestreckt oder verunreinigt ist. Dieses Verfahren heißt Drug-Checking und wird staatlich finanziert. So geht Drogenprävention in Österreich.
Wenn heute in Europa über Drogen gesprochen wird, herrschen oft noch Vorstellungen von Perspektivlosigkeit, Beschaffungskriminalität und traurigen Existenzen am Rande der Gesellschaft. Dabei ist in Europa der Konsum von Heroin in mehreren Ländern rückläufig, der von Crack selten. Das zeigt ein Bericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA). Gleichzeitig nehmen viele Leute Tabletten oder rauchen Joints.
»Das sind Drogen, die aus hedonistischen Gründen genommen werden und nicht, um nichts mehr zu spüren, wie bei klassischen Opiaten wie Heroin«, sagt Sonja Grabenhofer von der Suchthilfe Wien: »Wir sprechen deshalb von Freizeitdrogen.« 85 Millionen Menschen in der Europäischen Union haben schon mal illegale Drogen genommen, das ist ein Viertel aller Erwachsenen. Wenn von Drogen die Rede ist, geht es also längst nicht mehr nur um Minderheiten und Randgruppen.
»Die Drogenpolitik muss sich dem veränderten Markt anpassen«, sagt Cecilia Malmström, die Handelspolitikerin in der Europäischen Kommission. Aber was bedeutet das genau? Um Antworten zu finden, schauen europäische Politiker unter anderem nach Österreich. Einige mit Hoffnung. Andere mit Skepsis.
Es ist kurz vor Mitternacht in Wien. Das Universitätsklinikum ragt düster in den Nachthimmel. Nur im Erdgeschoss brennt noch Licht, in der Toxikologie. Im Labor Nummer 5.10.04 arbeitet das Chemikerteam von CheckIt! So heißt das Projekt der Wiener Drogentester, das von der städtischen Suchthilfe gemeinsam mit dem Institut für Medizinische und Chemische Labordiagnostik betrieben wird. Etwa alle halbe Stunde kommt eine Mitarbeiterin herein, mit den neuesten Proben aus dem Club: Ecstasy, Speed und Kokain.
Zuerst ist heute Nacht das Koks dran. Das weiße Pulver wird in Alkohol gelöst und kommt in eine Zentrifuge, in der sich die festen Teile ablagern. Anschließend geben die Chemiker die Flüssigkeit in eine Maschine, die den kleinen Laborraum beherrscht: ein offenes Gestell von der Größe eines Kühlschranks, in dem Displays und Leuchtdioden blinken, Computer und Massenspektrometer verschaltet sind.
Es ist eine Maschine, die einmalig ist auf der Welt und eigens für das Drug-Checking in Wien gebaut wurde. Hier wird die Koksprobe mit Licht bestrahlt, durch ein Vakuum geschossen und zerschlagen. Es ist eine Art chemischer Hindernislauf, der offenbart, welche Wirkstoffe in welcher Konzentration die Droge enthält – damit die Leute im Club wissen, was sie da nehmen.
Seit 16 Jahren gibt es das Drug-Checking in Wien. Los ging es in den Neunzigern, als Techno das Nachtleben veränderte. Damals tauchten bunte Tabletten auf, mit eingestanzten Smileys oder Friedenstauben. Die bekannteste dieser neuen Drogen hieß Ecstasy. »Die Leute, die das nahmen, hatten oft einen Job oder studierten«, sagt Sonja Grabenhofer. Das waren nicht mehr die Kinder vom Bahnhof Zoo. Das waren eher die Kinder von nebenan.
Entsprechend groß war die Angst davor, dass Ecstasy eine ganze Generation ruinieren würde. Die Rede von der »Einstiegsdroge« machte die Runde. Grabenhofer hält das für Blödsinn. »Die meisten Leute, die Ecstasy nehmen, landen später nicht beim Heroin, sondern hören irgendwann einfach auf«, sagt sie. »Das Rauschbedürfnis und vor allem die Risikofreudigkeit lassen in der Regel mit zunehmendem Alter nach. Das ist bei illegalen Freizeitdrogen nicht anders als bei Alkohol.«
Das Problem sei ein anderes: Bei illegalen Drogen gibt es kein Reinheitsgebot, wie etwa beim Bier. In Tabletten, die in den Neunzigern als Ecstasy gehandelt wurden, überwog mal der Wirkstoff MDMA, mal MDE, mal war zusätzlich MDA und manchmal waren ganz andere Stoffe darin. Das zeigen Tests aus den Niederlanden, dem Mutterland des Drug-Checkings.
»In höchstens 20 Prozent aller Substanzen, die wir zu sehen bekommen, ist das drin, was der Konsument erwartet«, sagt Sonja Grabenhofer. »Wenn ich nicht weiß, was ich nehme, weiß ich auch nicht, welches Risiko ich damit eingehe.« Deshalb gibt es das Drug-Checking, das heute etwa einmal im Monat in Clubs oder mit einem mobilen Labor in einem Campingbus auch auf Festivals im Wiener Umland angeboten wird. »Wir nehmen die Konsumenten ernst und versuchen ihnen wertfrei die Vor- und Nachteile des Drogenkonsums aufzuzeigen«, sagt Sonja Grabenhofer.
Im Universitätsklinikum spuckt der Computer die ersten Analyseergebnisse aus. Zehn Minuten nachdem die Probe in das Massenspektrometer gegeben wurde, zeigt der Rechner, welche Wirkstoffe enthalten sind. Zum Beispiel im Koks aus dem Club: Ein Drittel sei ein unbedenkliches Streckmittel, sagt Sonja Grabenhofer, etwa Milchzucker oder Zellulosepulver. Die übrigen zwei Drittel setzen sich aus Kokain zusammen, aber auch aus dem Schmerzmittel Paracetamol und aus Levamisol, einem Medikament, das gegen Fadenwürmer verschrieben wird.
»Das ist eine relativ klassische Kokainprobe«, sagt Grabenhofer. »Levamisol ist ein übliches Streckmittel, weil es die Wirkung des Kokains verstärkt. Das wurde vermutlich schon bei der Herstellung beigemengt. Das Paracetamol kam wahrscheinlich erst später dazu.« So funktioniert die Lieferkette der Drogen: Jeder Zwischenhändler kann seine Gewinnspanne erhöhen, indem er die Ware streckt – als Risikozuschlag sozusagen, schließlich ist der Handel nicht ungefährlich.
In krassen Fällen hat das Folgen wie 2007 in Leipzig. Dort meldeten sich mehrere Leute wegen Krämpfen und Übelkeit im Krankenhaus. Es kam heraus, dass sie Cannabis geraucht hatten, das mit Bleipulver gestreckt war. Das Blei machte die Ware schwerer, erhöhte also den Verkaufspreis. Für die Betroffenen kann es bedeuten, dass sie wegen einiger Joints jahrelang Medikamente nehmen müssen, um das Blei wieder aus ihrem Körper zu bekommen. Mehr als hundert Kiffer mussten in Leipzig in Behandlung.
Auch das mit Levamisol gestreckte Koks aus dem Wiener Technoclub birgt Risiken, die zu denen des reinen Kokains noch hinzukommen. Nimmt man es häufig ein, könne das Immunsystem geschwächt werden, sagt Sonja Grabenhofer. Dann könne unter Umständen schon eine Grippeinfektion tödlich enden. Für die Koksprobe füllt sie einen roten Zettel aus. »Achtung«, steht darauf, »die Inhaltsstoffe dieser Probe sind gesundheitlich besonders bedenklich!«
Kurz nach Mitternacht hängt dieser Zettel an einer Wand im Club. Wer an die Bar will, aufs Klo oder auf die Tanzfläche, muss hier vorbei. Es ist eine Warnung an den Nutzer, der den Zettel mithilfe einer Kennziffer seiner Probe zuordnen kann. Es ist aber auch eine Warnung an alle anderen, die vorbeikommen: Wer illegale Drogen nimmt, muss davon ausgehen, dass sie gestreckt sind.
Drug-Checking könnte ein europaweite Praxis sein, immerhin sind das der Drogenhandel und Drogenkonsum auch. Ein Portugiese der gestrecktes Kokain nimmt, reagiert darauf nicht anders grundsätzlich als ein Este oder ein Rumäne. Doch während es vergleichbare Projekte wie in Österreich auch in den Niederlangen gibt, in der Schweiz, in Belgien und in Tschechien, bleibt das Drug-Checking in anderen Ländern verboten.
Kritiker fürchten, die Tests könnten zum Konsum illegaler Drogen ermutigen und die Risiken verharmlosen. In Deutschland warnt die vor einer »falschen Sicherheit«. Wer Drogen kauft, trifft die Entscheidung, das Gesetz zu brechen und sich einem Gesundheitsrisiko auszusetzen. Aber ist es plausibel, dass weniger Informationen zu besseren Entscheidungen führen?
Wie die Warnung auf den Mann mit dem gestreckten Koks wirkt, wissen die Drug-Checker nicht. Vielleicht hat er sein Kokain längst genommen. Vielleicht ist ihm der rote Zettel egal. »Aber es kommt zu weniger Zwischenfällen, seit es uns gibt«, sagt Grabenhofer. Deshalb gebe es Veranstalter in der Technoszene, von denen die Drogentester immer wieder eingeladen werden. Lieber eine Infowand im Club als einen Krankenwageneinsatz.
(Foto: 2014 / Text: 2013)
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[1] Weitere Informationen zum europäischen Drogenhandel und -konsum gibt es auf der Internetseite der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA). Mehr zum Drug-Checking in Wien ist auf der Website der Initiative CheckIt nachzulesen.
[2] Zur Kritik des Drug-Checkings, siehe etwa die Stellungnahmen der Interessenverbänden von Ärzten und Apothekern vor dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags im September 2011.
[3] Eine frühere Fassung dieses Textes ist erschienen in der Zeitschrift ZEIT CAMPUS, Ausgabe 1/2014, sowie online.